Neulich habe ich die demografische Lage Sachsens in den internationalen Kontext gestellt und habe geschlussfolgert, dass der Freistaat hier tatsächlich heraussticht. Anschließend kam in mir eine weitere Frage auf: Wie steht es eigentlich um die Männerquote im Land? Wie hoch fällt sie aus und wie schneidet sie im internationalen Vergleich ab? Ein Datencheck.
Ein Blick auf Deutschland zeigt, dass gerade die östlichen Bundesländer in vielen Regionen offensichtlich einen deutlichen Männerüberschuss aufweisen. Wie das IW Köln vor einigen Jahren beschrieb, liegt ein wesentlicher Grund im Wanderungsverhalten der vergangenen Jahrzehnte: Häufig waren es junge Frauen, die gingen. Und die Männer? Sie blieben in größerer Anzahl zurück. Deren Aussichten sowohl am Arbeitsmarkt als auch bei der Partnerfindung gestalteten sich – so die Autoren mit Verweis auf eine ältere Studie – dabei „sehr ungünstig“. Gerade die ländlichen Regionen seien es zudem, welche besonders hohe Männeranteile aufweisen. Aber zoomen wir in die Karte hinein und konzentrieren wir uns auf den Freistaat Sachsen. Wie ist hier die Lage?

Männliche Ländlichkeit
Zu Beginn ein methodischer Hinweis: Für die nachfolgenden Berechnungen der Männerquote konzentriere ich mich auf die Altersgruppe der 15-35-Jährigen, weil ich diese gerade für demografische Zukunftsfragen als besonders wichtig erachte. Denn diese sind es doch, innerhalb welcher die meisten Menschen ihre ersten Liebesbeziehungen eingehen, eine Familie gründen, Kinder bekommen und damit die demografische Zukunft ganz bedeutend beeinflussen.1In Sachsen beispielsweise bekommen die Frauen durchschnittlich mit 29,7 Jahren ihr erstes und mit knapp 32 Jahren das zweite Kind. In den meisten Fällen dürften diese Paare sich Jahre zuvor kennengelernt haben, was auch den jüngeren Altersgruppen Relevanz verleiht. Hat diese Altersgruppe nun einen hohen Anteil an Männern, so heißt das auch, dass der Frauenanteil und damit der Anteil potentieller Mütter vergleichsweise gering ausfällt. Aber kommen wir zum ersten Ergebnis:
Insgesamt wies Sachsen im Jahr 2019 eine Männerquote von 52,3 Prozent auf. Auf 100 junge Frauen kommen demnach rund 110 junge Männer. Oder anders bzw. vereinfacht2„Vereinfacht“, weil hier von der Realität abstrahiert wird, dass es natürlich auch Männer gibt, die keine heterosexuelle Partnerschaften favorisieren. formuliert: Gerade in der Altersgruppe, in welcher normalerweise die Familienplanung beginnt, dürften fast 10 Prozent der jungen Männer größere Schwierigkeiten in der Partnerfindung haben.
Unter Einbindung der BBSR-Lagetypisierungen 3„Die Lagetypisierung im regionalen bis großräumigen Maßstab betrachtet mithilfe eines Zentralitäts-Indexes die Nähe zu Konzentrationen von Bevölkerung und Arbeitsplätzen, die sich auch durch ein gebündeltes Angebot an Beschäftigungsmöglichkeiten und Versorgungseinrichtungen auszeichnen. Eine vollständige Quelle-Ziel-Matrix aller knapp 4.800 Gemeindeverbände bildet die Grundlage für die Berechnung des Tagesbevölkerungspotenzials innerhalb von 2 Stunden Fahrzeit im motorisierten Individualverkehr (MIV).“ (BBSR) lässt sich außerdem feststellen, dass diese Probleme in abgelegeneren Regionen etwas größer sein dürften. In (sehr) peripheren Gemeinden liegt der Männeranteil dieser Altersgruppe im Schnitt bei über 53 Prozent und damit oberhalb der (sehr) zentral gelegenen Gemeinden. Insofern kann die eingangs zitierte Aussage des IW Köln auch mit dem Fokus auf die sächsischen Gemeinden bestätigt werden.
Ein Blick auf die Karte
Interessant ist darüber hinaus der kartografische Blick auf die Männerquote. Hierfür binde ich die Daten in die Sachsenkarte ein und färbe die Gemeinden entsprechend ihrer Ausprägung farblich ein. Umso dunkler der Farbton, desto höher der Männerüberschuss. Hier lässt sich vortrefflich interpretieren. Beispielsweise zeigt sich für den Leipziger Raum ein relativ heller Farbton, was noch einmal bekräftigt, dass zentral gelegene Gemeinden eher niedrige Werte aufweisen. Gleichzeitig weisen die beiden anderen Großstädten Dresden und Chemnitz deutlich höhere Werte auf. Möglicherweise liegt das in den unterschiedlichen universitären Ausrichtungen der Städte. Gerade in Chemnitz und Dresden sind höhere Männeranteile aufgrund des recht technischen Profils nicht überraschend4Siehe auch Sozialbericht Sachsen. Darüber hinaus fällt auch die nordöstliche Region Sachsens auf. In jener Region befindet sich das Lausitzer Braunkohlerevier und es ist durchaus anzunehmen, dass auch aufgrund der langen Industrie- und Bergbautradition Sachsens im Allgemeinen bzw. der Lausitz im Besonderen vorrangig männlich dominierte (Industrie-)Arbeitsplätze angesiedelt waren/sind.5Siehe auch Studie (Kurzfassung) zur Verbesserung der Verbleibchancen qualifizierter Frauen im Landkreis Görlitz
Sachsens Männerquote im internationalen Vergleich
Zugegeben: Anfangs hatte ich die Erwartung, dass die vielfach diskutierte Männerquote Sachsens höher ausfällt als die besagten 52,3 Prozent. Auf den ersten Blick wirkten sie auf mich nicht übermäßig hoch. Doch welche Dimension der sächsische Männerüberschuss hat, zeigt sich vor allem im Vergleich mit anderen Regionen und Staaten. Deshalb setze ich diesen nun in den internationalen Kontext. Wie in einem älteren Blogbeitrag auch, werde ich den Freistaat hierfür wieder mit der Situation in allen 202 UN-Staaten vergleichen. Ein solcher Vergleich ist selbstredend eine Vereinfachung der Realität und die Ergebnisse sind nur begrenzt aussagekräftig.6 Zum Beispiel, weil hier eine Region eines UN-Staates herausgepickt und diese mit der Gesamtheit anderer Staaten verglichen wird, obwohl diese sicherlich ebenfalls Regionen mit deutlich unterschiedlichen demografischen Entwicklungen aufweisen. Allerdings hat Sachsen eine Bevölkerungsgröße, mit welcher sich ein solcher Vergleich durchaus anstellen und die sächsische Lage immerhin grob in den internationalen Kontext stellen lässt.
Ergebnis: Nur 20 UN-Staaten haben einen höheren Männeranteil als Sachsen!
Die folgende Abbildung verdeutlicht das Ergebnis. In ihr sind alle Staaten inkl. Sachsen in einer Reihenfolge angeordnet. Je höher ein Land platziert ist, desto größer ist der jeweilige Männeranteil unter 15-35-Jährigen. Mit einem Wert von 52,3 Prozent liegt Sachsen relativ weit oben und belegt von den 200 Vergleichsstaaten den 21. Rang. Deutschland insgesamt kommt auf einen Männeranteil von 52,2 Prozent und befindet sich damit nur knapp hinter dem sächsischen Wert. Beide stehen damit auffällig weit oben in der Übersicht und heben damit abermals ihre besondere demografische Situation hervor.
Aber auch der Rest ist interessant: Mit weitem Abstand auf dem ersten Platz befindet sich auch aufgrund der männlich dominierten Zuwanderung von Gastarbeitern das Land Katar. Der hohe Männeranteil von rund 80 Prozent bedarf sogar derart viel Platz im Balkendiagramm, dass der dazugehörige Querbalken zugunsten der Übersicht seitlich abgeschnitten wurde. Dasselbe gilt für die sechs darauffolgenden Staaten.7Die Männeranteile dieser wenigen Staaten sind derart hoch, dass sie als Ausreißer die Abbildung stark verzerren würden und die Differenzen der darunterliegenden Staaten verdecken würden. Mit einer Männerquote unter 15-35-Jährigen von nur rund 45 Prozent ist Nepal schließlich das Schlusslicht der Rangfolge. Und hier schließt sich der Kreis: Während die Erstplatzierten in der Abbildung eher als Empfängerstaaten der Arbeitsmigration gelten und eine enorm hohe Männerquote aufweisen, ist Nepal ein Beispiel für einen Staat, aus welchen die jungen Männer aus Gründen der Arbeitssuche auswandern und einen entsprechend größeren Frauenüberschuss zurücklassen. Die Neue Züricher Zeitung titelte im Jahr 2013 sogar von einem „Exodus junger Männer aus Nepal“, was darauf verweist, dass auch hier Migrationsbewegungen einen ganz bedeutsamen Grund für die Quote darstellen. Die ökonomische Lage einer Gesellschaft und ihre soziodemografischen Entwicklungen können also eng miteinander verflochten sein.
Fazit: Sachsen - hoher Männerüberschuss
Sachsen ist nicht nur ein vergleichsweise altes Land, sondern beherbergt in der Altersgruppe zwischen 15 und 35 Jahren zudem einen überdurchschnittlich hohen Anteil an Männern. Dieser liegt im Jahr 2019 bei 52,3 Prozent. Fast 10 Prozent der einheimischen jungen Männer könnte bei der Partnerfindung durchaus auf Probleme stoßen. Auch das Institut der deutschen Wirtschaft problematisierte bereits vor einigen Jahren den vor allem in Ostdeutschland zu beobachtenden Männerüberschuss sowie die Folge, „dass viele junge Männer keine Partnerin finden können.“ In entlegeneren Regionen fällt der Überschuss dabei sogar noch höher aus als im Durchschnitt. Die sächsische Lage wird aber erst recht deutlich, setzt man sie in den internationalen Vergleich. Dann nämlich zeigt sich, dass von rund 200 UN-Staaten nur 20 eine höhere Quote aufweisen. Während diese dort aber primär durch den starken Zuzug männlicher Gastarbeiter zustande kommt, liegt der Grund für den sächsischen Wert vor allem in der Abwanderung junger Frauen (=potentieller Mütter) und der langfristig insgesamt fallenden Geburtenrate.
Quellen:
(1) Daten der UN-Staaten (2020): https://population.un.org/wpp/Download/Standard/Population/
(2) Daten für Sachsen (2019): auf Anfrage zugeschickt vom Statistischen Landesamt Sachsen (Bevölkerung des Freistaates Sachsen am 31. Dezember 2019 nach Gemeinden, Altersgruppen und Geschlecht)
(3) Raumtypen: https://www.inkar.de/