Europawahl 2024 – über die (Un-)Ähnlichkeit der Parteien

In Europa wurde wieder gewählt. Und wieder stellt sich die Frage: Wie weit liegen die Parteien in ihren Ansichten eigentlich auseinander und wo gibt es inhaltliche Überschneidungen? Wo lässt sich die neue Wagenknecht-Partei einordnen und wie weit am rechten Rand befindet sich die AfD?


Um Antworten zu finden, nutze ich (wie bereits Mitte 2022) auch für die Europawahl 2024 wieder die Wahl-O-Mat-Daten. Obwohl das Tool die Realität fast schon problematisch stark vereinfacht und komplexe Parteiprogramme in nur drei Antwortoptionen (Stimme zu, Neutral, Stimme nicht zu) zu pressen versucht, sehe ich vor allem Vorteile:

Die Fragen werden in einem diskursiven Prozess mit vielen Leuten entwickelt, die Parteien selbst beantworten sie und schließlich wird alles als ein maschinenlesbarer Datensatz zur Verfügung gestellt. Das ist für Datenanalysen schon sehr cool. Die Ergebnisse sollten aber natürlich nicht überinterpretiert werden: Sie können maximal eine Annäherung an die Realität in Bezug auf die jeweils gestellten Sachverhalte des jeweiligen Jahres sein. Aber kommen wir zum Punkt und schauen, wie die Parteien abgestimmt haben.

Abstimmungen der Parteien zur Europawahl 2024

Zunächst einmal habe ich alle Antworten der Parteien in einer Heatmap dargestellt und mathematisch ordnen lassen. In der folgenden Abbildung stehen die Parteien am rechten Rand, darunter die Themen. Der Schnittpunkt von Spalte und Zeile ist eine Zelle, welche durch ihre Färbung die jeweilige Abstimmung zeigt. Zum Verständnis hier noch eine kleine Farblegende:

SzenarioFarbe
ZustimmungGrün
NeutralGrau
AblehnungOrange

Schauen wir uns das erste aufgeführte Thema Asylanträge an der EU-Außengrenze an, ist zu erkennen, dass die PDV als erste aufgeführte Partei ein Neutral abgegeben hat (= graue Zelle). Zwei Zeilen darunter befindet sich die AfD – sie hat dieser Frage zugestimmt, ebenso wie DIE HEIMAT (ehemals NPD) und die SPD (= grüne Zelle).

Spannend ist, wie der Algorithmus die Themen und Parteien anordnet. Ganz deutlich ist zu erkennen, dass die Parteien ungefähr entlang des Parteienspektrums angeordnet sind: Die eher rechten Parteien befinden sich oben und die eher linken Parteien unten. Anhand der dadurch entstandenen Anordnung der gefärbten Zellen wird sofort ein Muster sichtbar: Ungefähr die obere Hälfte der Parteien befürwortet die ersten Fragestellungen (grüner Block oben links) und lehnt die letzten tendenziell ab (orangener Zellhaufen oben rechts). Demgegenüber stehen die eher linken Parteien: Der große orangene Block unten links zeigt, dass sie die ersten Thesen ablehnen, wohingegen der große grüne Block unten rechts abbildet, wie homogen ihre Meinung auf diese politischen Fragestellungen ist.

Landkarte der Parteienverwandtschaft

Offensichtlich gibt es also systematische Übereinstimmungen und Differenzen zwischen den Parteien. Doch wie hoch fallen diese aus? Hierfür habe ich die prozentuale Übereinstimmung zwischen allen Parteien berechnet und in der nachfolgenden Abbildung dargestellt. Umgesetzt habe ich das im Prinzip so, wie es auch der Wahl-O-Mat macht: Je ähnlicher zwei Parteien eine Frage beantworten, desto mehr Punkte erhält dieses Duo:

SzenarioPunktzahl
Volle Übereinstimmung (z.B. beide stimmen zu)2
Teilweise Übereinstimmung (z.B. eine Zustimmung, eine Neutral)1
Keine Übereinstimmung (z.B. eine Zustimmung, eine Ablehnung)0

Bei 38 Fragestellungen des Wahl-O-Mats können also maximal 76 Punkte (38*2=76) erzielt werden, was in der folgenden Abbildung als prozentuales Ergebnis dargestellt wird. Im Kern wird hier also berechnet, was eine Partei beim Durchführen des Wahl-O-Mats selbst erhalten würde. Noch zwei Worte zur Frage, was die folgende Heatmap eigentlich enthält:

  1. Die Ähnlichkeit zwischen zwei Parteien: Die Matrix zeigt den prozentualen Übereinstimmungswert, den jede Partei mit jeder anderen erzielt hat. Führt man den Mauszeiger in eine Zelle, wird der Wert für das jeweilige Parteienpaar (x- und y-Achse) angezeigt. Und schließlich habe ich diese Werte entsprechend ihrer Ausprägung eingefärbt: Je gelber die Zelle, desto höher die Übereinstimmung der Parteien.
  2. Dendrogramm: Für die Anordnung der Parteien in der Abbildung habe ich eine Clusteranalyse berechnet. Basierend auf den Übereinstimmungswerten versucht das System nun Gruppen mit möglichst ähnlichen Parteien zu finden. Dargestellt wird das Ergebnis als sogenanntes Dendrogramm, welches die Cluster anhand der eingefärbten Linien unterhalb der Diagrammüberschrift abbildet.

Im ersten Schritt teilt das System alle Parteien in zwei Gruppen auf (schwarze Linie). Innerhalb des linken Clusters befinden sich nun also relativ ähnliche Parteien, die möglichst große Unterschiede gegenüber jenen des rechten Clusters aufweisen. Beide großen Cluster werden anschließend weiter zusammengefasst, wodurch mehrere farblich hervorgehobene Gruppen entstehen. Links befinden sich die rote, braune und dunkelgrüne Parteienverwandtschaft.

Das rot gefärbte Cluster ganz links beinhaltet sieben Parteien des linken Randes. Die flachste Verbindung in diesem Cluster geschieht zwischen DIE LINKE und MERA25. Das heißt, zwischen allen linken Parteien sind sich diese am ähnlichsten (Übereinstimmung 93,4%). Zu dieser Linienverbindung stößt als nächstes Die PARTEI hinzu und noch etwas später das BIG. Die PARTEI ist dem erstgenannten linken Bündnis demzufolge ähnlicher als das BIG. Dieser Viererkombination schließt sich auf der nächsten Ebene noch das das Trio der DKP, MLPD und der SGP an.

Betrachten wir das Diagramm zuerst einmal oberflächlich: Hier sieht man einen großen gelben Fleck im unteren linken Viertel und einen eher kleinen gelben Fleck in der oberen rechten Ecke (Erinnerung: Umso gelber, desto ähnlicher). Wohingegen sich unten links die hohe Übereinstimmung der vielen eher linken Parteien zeigt, verdeutlicht sich oben rechts die Ähnlichkeit zwischen den eher wenigen rechten Parteien.

Was könnte das für die Wahl bedeuten? Möglicherweise, dass sich die Stimmen der linken Wähler auf viele recht ähnliche Parteien aufteilen, wohingegen dem rechten Wählerklientel nur wenige Parteien zur Verfügung stehen. Das Ergebnis dürfte sein, dass sich ein oder zwei sehr starke rechte Parteien herausbilden, wohingegen es viele linke Parteien mit mäßigem Stimmenanteil gibt (einfach, weil sich die Stimmen auf deutlich mehr Parteien verteilen).

Blicken wir nun auf die Details: Fährt man mit der Maus bspw. in die erste Zelle oben links, zeigt sich, dass die AfD einen 42,1 prozentigigen Übereinstimmungswert mit der Sozialistischen Gleichheitspartei (SGP) hat. Naturgemäß nicht besonders hoch. Scrollt man auf der AfD-Zeile weiter nach rechts, gelangt man zunehmend in den Bereich der eher rechteren Parteien (x-Achse). Dadurch nehmen die Werte entsprechend zu und erreichen mit der Partei Die Heimat (ehemals NPD) einen Höchstwert. Würde die AfD also den Wahl-O-Maten (ohne Gewichtung) selbst durchführen, hätte sie am Ende einen Übereinstimmungswert mit DIE HEIMAT von 81,6 Prozent. Das ist vor allem vor dem Hintergrund interessant, als dass DIE HEIMAT (welche bis 2023 noch NPD hieß) selbst in Sachsen früher nur von einer absoluten Minderheit gewählt wurde (Landtagswahl 2019: 0,6%), wohingegen die ihr stark ähnelnde AfD mittlerweile über 30 Prozent einfährt.

Direkt unter der Diagramm-Überschrift beginnt das linienartige Dendrogramm. Hier erzeugt der Algorithmus Gruppen von Parteien, welche innerhalb der Gruppe möglichst ähnlich und zwischen den Gruppen möglichst unterschiedlich sind – also eine Art Parteiverwandtschaft. Während die LINKE im roten Cluster ganz links eingeordnet wird, befindet sich die AfD in der violetten Verbindung ganz rechts. Innerhalb dieses rechten Clusters wird die Alternative mit der libertären PDV verbunden, welche staatliches Handeln weitgehend zurückdrängen möchte. Dass die AfD auf der untersten Ebene nicht direkt mit DIE HEIMAT verbunden wird, obwohl sie mit ihr die größten Übereinstimmungen hat, liegt daran, dass die HEIMAT selbst ihre höchste Übereinstimmung mit der ABG aufweist.

Zugunsten der Übersichtlichkeit möchte ich diese Cluster nun noch mit einer Netzwerkanalyse verbinden und zeigen, wie dicht die Parteien mit ihrer Parteiverwandtschaft praktisch im Raum „zusammenhängen“.

Das Netzwerk der Parteien visualisiert

Ein Netzwerkdiagramm ist praktisch eine Darstellung von Beziehungen zwischen Datenpunkten. Jeder Punkt steht für eine Partei. Die Verbindungslinien zwischen den Punkten repräsentieren die Beziehungsintensität zwischen den jeweiligen Parteien. Jede Verbindungslinie zieht praktisch die jeweiligen Punkte aneinander heran, wird dabei aber natürlich von den anderen Verbindungen beeinflusst. Umso stärker eine Beziehung, desto eher schafft sie es, die jeweiligen Punkte möglichst nah aneinander zu bringen. In Folge dessen bündeln sich Parteien in Gruppen, welche sich im Hinblick auf die Wahl-O-Mat-Fragen am ähnlichsten sind.

Oben habe ich ja bereits erwähnt, wie ich die Übereinstimmungswerte zwischen den Parteien berechnet habe. Auch für die folgende Netzwerkanalyse verwende ich sie. Ein Unterschied: Während oben alle Übereinstimmungen abgebildet wurden (also alle Werte zwischen 0% und 100%), veranschauliche ich nun nur die stärksten Beziehungen (>60%). Das verringert die Komplexität des Graphen und hebt hervor, was hier ja auch im Fokus steht: Welche Parteien(-gruppen) haben die größte Ähnlichkeit?

Und was ist nun zu erkennen? Na im Prinzip das, was oben schon deutlich wurde: Ein großes Bündel linker Parteien mit vielen zueinander laufenden Verbindungen (blaues & gelbes Cluster) und weit entfernt liegende Parteien, welche eher dem rechten Spektrum angehören (rotes Cluster). Und zwischen den beiden Polen liegen die drei restlichen Cluster (violett, türkis, grün), welche zur linken und rechten Richtung gewisse Verbindungen aufweisen.

Ein Klick auf die Punkte verrät die konkreten Beziehungen: Wohingegen bspw. die Linkspartei nur im linken Parteienbündel bis maximal zum violetten Bereich starke Beziehungen hat und die AfD nur maximal bis zum grünen Cluster reicht, verbindet die BSW alle Pole miteinander. Diese zentrale Positionierung könnte wahltaktisch enorm hilfreich sein. Betrachten wir nun noch das rechte Parteienbündel, sieht man auch hier: Die AfD befindet sich neben DIE HEIMAT (ehemals NPD), weil – wie betont – sie in ihren Antworten zu den Wahl-O-Mat-Fragen zur Europawahl eine enorme Ähnlichkeit aufweisen.

Hinweis: Weil sich der interaktive Netzwerkgraph immer etwas anders formiert und ständig in Bewegung sein kann, habe ich es im folgenden Menü zusätzlich als starres Bild eingebunden. Hierfür einfach das Menü aufklappen:

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